Sofern Brecht inzwischen zu den Klassiker zählt, mag das zeitgemäß sein. Ansonsten sympatisiere ich mit folgendem Standpunkt:
Wer heute noch ernsthaft glaubt, mit klassisch geschlossenen Dramen die Gegenwart angemessen abbilden zu können, unterschätzt die Komplexität unserer Welt. Klimakrise, algorithmisch gesteuerte Öffentlichkeit, globale Lieferketten – all das sprengt jede Illusion von geschlossener Handlung und psychologisch fein ausgeleuchteten Einzelschicksalen. Das epische Theater, wie Brecht es gedacht hat, ist deshalb keine historische Kuriosität, sondern die einzig konsequente Antwort: Es zeigt nicht nur Figuren, sondern Verhältnisse, nicht nur Gefühle, sondern Ursachen.
Gerade die Verfremdungseffekte, die manche als „kalt“ oder „kopflastig“ abtun, sind in Wahrheit Formen des Respekts vor dem Publikum. Sie signalisieren: „Du bist nicht hier, um dich betäuben zu lassen, sondern um mitzudenken.“ In einer Medienwelt, die uns permanent mit Emotionen überflutet, braucht es im Theater den bewussten Bruch mit der Illusion, damit aus passivem Konsum wieder politisches Bewusstsein werden kann.
Das geschlossene Drama wirkt dagegen wie ein ästhetisches Beruhigungsmittel: Inhumane und ungerechte Zustände werden kritiklos hingenommen oder ignoriert. Am Ende mögen Tränen fließen, aber an den gesellschaftlichen Verhältnissen ändert sich nichts. Episches Theater verweigert genau diese trügerische Erlösung. In Zeiten, in denen einfache „Lösungen“ und starke Erzählungen häufig Teil des Problems sind, ist diese Zumutung ein Gewinn.
Wer das Theater als Ort ernst nimmt, an dem Gesellschaft über sich selbst nachdenken kann, kommt an Brechts Erbe nicht vorbei. Alles andere mag unterhaltsam sein. Angemessen für unsere Gegenwart ist nur ein Theater, das an der Verbesserung dieser Gegenwart arbeitet.